Fläming.jpg Es liegt eine Handschrift dieses Tagebuches vor, die mir während der Renovierung von Drogerie Schulze von der Bauleitung übergeben wurde, mit der Bemerkung, dass sich die neuen Besitzer diese Aufzeichnungen nicht aufheben wollen. Verschnürt lag auch die Handschrift der Dissertation dabei, die ich ebenfalls erhielt. Beides werde ich nach auswertung dem Kreisarchiv übergeben.
Fräulein Dorno, die Schwester, wohnte noch etwa bis in die 60er Jahre in dem Haus bei dem Drogisten Hannemann, der etwa 1959 Belzig und die DDR verließ.

Tagebuch

Friedrich Dorno, geb. am 26. Februar 1889 als Sohn des Brauereibesitzers und Landwirtes Friedrich Dorno und seiner Ehefrau Hedwig geb. Fleischhauer zu Belzig. Er besuchte die Belziger Volksschule und seit 1899 das Melanchthon-Gymnasium in Wittenberg. Dort erhielt er 1908 das Reifezeugnis, studierte anschließend in den ersten vier Semestern in Freiburg i. B., Berlin, Kiel und München und blieb seit dem fünften Semester in Berlin. Er beschäftigte sich zunächst mit Geschichte, dann auch mit Nationalökonomie, Germanistik und Geographie. Aus dieser Zeit stammt das Tagebuch.

München, den 17. Februar 1910
Ich beginne das Tagebuch einige Tage vor meinem 21. Geburtstage, dem Tage, an dem ich mündig werde; es soll vor allem eine Kontrolle sein über mein Tun und Lassen; ich will mir Rechenschaft geben über jeden Tag, ob es ein verlorener war, wie bisher so viele - oder ob ich einen, wenn auch noch so kleinen Schritt vorwärts getan habe. Ich will mündig werden.

18. Februar 1910
Der erste Tag unter Kontrolle ist nicht gerade sehr glänzend ausgefallen: am Morgen war ich nicht aus dem Bette zu kriegen, wie gewöhnlich; gearbeitet habe ich nicht, wie ich eigentlich wollte. Der Grund ist aber ein guter: Die `Sagen und alten Geschichten der Mark BrandenburgA, die ich mir zum Geburtstagsgeschenk bestimmt habe, habe ich bekommen; natürlich las ich mich fest.
Ich sehe, wie nötig eine genaue Durchforschung meiner Heimat auch auf diesem Gebiete ist, und das bestärkt mich in meinem Entschluß. Ich will im Laufe des Jahres erstens fließend Plattdeutsch sprechen lernen und zweitens einige Fertigkeiten in landwirtschaftlichen Arbeiten und einiges Verständnis für Vieh usw. mir aneignen. Drittens soll wenigstens der Grund gelegt werden für meine Flämingforschungen. Das soll in diesem Jahr erledigt und nicht wieder aufgeschoben werden.
Mit Sven Hedins `Im Herzen von AsienA bin ich nun fast zu ende, ein herrliches Buch, wer sollte nicht den Wunsch hegen Ähnliches zu vollbringen. Nur so gesund und widerstandsfähig wie er müßte man sein!
Ich muß diesen Sommer etwas für meinen Körper tun; wenn nur das Herzklopfen nicht wäre. Es muß durch Energie überwunden werden, z. B. durch rechtzeitiges Zubettgehen.

24. Februar
Ich muß mich bemühen, mir mehr gesellschaftliche Gewandtheit zu erwerben; ich bin in Gesellschaft, bei Besuchen usw. sehr unbeholfen. Ich glaube, daß mir schon mancher Vorteil durch diesen Mangel entgangen ist (vgl. Prof. Hans Kiel). Du könntest bei deinen Heimatforschungen sehr wohl einmal in die Lage kommen, einen Edelmann um etwas angehen zu müssen, wenn du da dich nicht einigermaßen zu betragen weißt, wirst du vergebens bitten.
Sonderbar, wie die Zukunftsideale wechseln: Im vorigen Jahre wünschte ich nichts weiter, als Lehrer zu sein, möglichst in Wittenberg, und ein glückliches Familienleben zu führen. Nachdem ich Sven Hedin gelesen habe, wollte ich ein Forschungsreisender sein, heute ist mir im deutschen Museum, Abteilung Landwirtschaft der alte Wunsch wieder aufgetaucht, Landwirt zu werden, aber ein nicht gar zu sehr von Schulden gedrückter, sondern einer, der aus Liebe zur Sache und um seine Heimat vorwärts zu bringen eine Art Musterwirtschaft einrichtet. Als Ort meiner Tätigkeit habe ich den Rabenstein erkoren. Allerdings ist dieser für eine Musterwirtschaft z. B. mit Spargelbau nun allerdings gar nicht geeignet. Wieviel würde der Rabenstein etwa kosten?
Geld! Hätte ich das, so würde ich mir im Sommer ein Segelboot kaufen, um die märkischen Seen zu befahren. Nennen würde ich es `Johannes RathenowA.
Du müßtest in der Lotterie spielen, was du bisher so sehr verabscheut hast. Du bekommst am 26. Verfügungsrecht über etwa 50 Mark jährliche Zinsen, versuch es!

27. Februar 1910
Ich bin an meinem Geburtstag zu keinen Einsichten gekommen. Am 25. abends im `PlatzlA. Am 26, sehr früh im `SimplizissimusA. Schneider, Wachs, Schmidt - Dresden. Unsere Unterhaltung interessierte mich im allgemeinen wenig, an Wachs scheint mehr zu sein, als ich bisher dachte, er interessiert sich auch für die Wittenberger Geschichte, ich könnte an ihm vielleicht einen Mitarbeiter haben. Der Oheim hat einen Verein für Wittenberger Geschichte gegründet.
Abschreckendes Beispiel: Ich sah im `Simplizissimus viele Künstler, die, wie ich höre, dort Stammgäste sind. Ihre Beschäftigung wird immer die gleiche sein: Einer trägt seine Geistesprodukte vor, die anderen klatschen, dann kommt der nächste an die Reihe. Alles beruht auf Gegenseitigkeit, so kann man sich nicht wundern wenn einer nach dem anderen sich zu der Überzeugung durchringt, er sei ein ganz besonders gottbegnadeter Dichter. Einige Gedichte waren jedoch ganz niedlich. Nur nicht eine Drohne werden, wie die meisten (denke ich) jener jungen Leute, lieber eine unter tausend unscheinbaren Arbeitsbienen. Am Abend meines Geburtstages wurde ich von Beer zunächst besucht, dann auf einen Spaziergang und schließlich ins `...bräuA geschleift. Dort trafen wir Wachs. Die Schulgeschichten gaben einen unerschöpflichen Unterhaltungsstoff, schließlich kamen wir auf die Politik zu sprechen. Wachs und ich sind noch auf der Suche, Beer hat einen Standpunkt, von dem er nie einen Fingerbreit abweichen wird, stark rötlich, äußerst logisch und natürlich konsequent. Gott wolle uns vor allem in der Politik zum mindesten vor Logik und Konsequenz bewahren. Was wird aus mir werden? Ein Konservativer, ein Nationalliberaler (Herr Beer sagt `NationalmiserablerA)?
Im vorigen Winter war ich schon ziemlich für den Liberalismus gewonnen, wenigstens erinnere ich mich, daß ich für Frauenrechte in meiner Weise schwärmte, inzwischen bin ich wieder nach rechts gerückt.
Von Günter Schramm bekam ich einen sehr netten Brief. Ich muß ihm öfter schreiben, er ist bisher mein bester Freund.