1000 Jahre Belzig

Joachim Herrmann: Belzig 997

Dank der Belziger
In allen wissenschaftlichen Publikationen wird als Geburtsort des Autors Joachim Herrmann "Lübnitz bei Belzig" genannt. Hier ist er als Sohn des Müllers am 19. Dezember 1932 geboren, hat in der zweistufigen Dorfschule das Abc erlernt, später bis zum Abitur die Belziger Schule besucht. Wir Belziger, die ihn von Jugend auf kannten, beobachteten seine Forschungen als Archäologe und Professor am Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie, später auch als Direktor dieses Institutes an der Akademie der Wissenschaften von der Heimat aus, sammelten Nachrichten über ihn und tauschten sie untereinander aus. Uns wurde klar, dass er in seine Veröffentlichungen auch immer den Fläming einbezog. Eigentlich hat er mit den Grabungen in dieser Gegend seinen Ruf als Archäologe begründet. Der Auszug aus "Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1992" nennt uns die Erscheinungsjahre seiner Werke, zählt Fakten auf, die sein Ansehen in Kreisen der Wissenschaft ahnen lassen.
Dennoch hat er in seinen Berliner Jahren nie den Kontakt zu den Belzigern verloren. Da gab es Einladungen von seiner alten Schule, Kontakte zu den Bodendenkmalspflegern der Region und natürlich zu Freunden und Verwandten.
Wir danken ihm, dass er zum Belziger Jubiläum bereit war, eine speziell auf unsere Region bezogene Darstellung der frühdeutschen Besiedlung zu schreiben. Dabei konnte er auch Forschungen des Belziger Archäologen Dr. Fritz Horst (1936 bis 1990) einbeziehen, dessen früher Tod uns sehr erschüttert hat.
Bei Drucklegung war Thomas Langer (Untere Denkmalschutzbehörde) dabei, umfangreiche Ausgrabungen am Bergfried und in seiner Nähe auszuwerten, die nach Abschluss veröffentlicht werden sollten. Sie bestätigen Auffassungen von Fritz Horst und Joachim Herrmann in hohem Maße. Möge Band 2 der Belziger Juhiläumsreihe die Gespräche über historische Werte befördern, das Verständnis für die frühen Vorgänge in unserem Raum erweitern und zum Schutz der geschichtlichen Spuren beitragen.
Belzig, den 10. Juli 1994
Helga Kästner

Inhalt

Belzig 997: "Das Burgwardium jedoch heißt gemeinhin belizi..."
Belzig - Belicsi und die "provincia bloni" im 10, Jahrhundert
Slawische Burgbezirke und deutsche Burgwarde
Die ältere Geschichte des Belziger Burgbergs
Deutsche Burgwarde zwischen Belzig, Brandenburg und Magdeburg
Das Wende-Jahr 983
Belzig und Ploni in den Machtkämpfen am Ende des 10. JahrhundertsDas Burgwardium Belicsi/Belizi im Jahre 997 - ein Tauschobjekt
Belicsi/Belizi 997 = Belzig oder Beelitz?
Belicsi/Belizi = Beltz 1219 = Belzig
Burg und Herrschaft Beltz nach 1161
Die "Entstehung" des Flämings
Neubau und Erweiterung der Burg von Beltz im 13. Jahrhundert. Butterturm und Palas
Landesherren und Grafschaft Belzig im 13. Jahrhundert
Nachbetrachtungen
Aus dem ersten Kapitel
Belzig 997:

"Das Burgwardium jedoch heißt gemeinhin Belizi..."

"Nomen vero burguuardii vulgo Bellcsi..." steht in einer Urkunde, die am 8. Juni 997 von Kaiser Otto III. in Arneburg a.d. Elbe ausgestellt wurde. Die Interpretation dieser im Original auf Pergament erhaltenen Urkunde, in der erstmals Belzig erwähnt wird, ist nicht unproblematisch, sowohl im Hinblick auf die Zuweisung von Bellcsi an Belzig als auch für die Beurteilung der allgemeinen politischen und herrschaftlichen Verhältnisse im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrtausends im Belziger Land. Zunächst jedoch sei in freier Übersetzung der Inhalt der in einer Faksimile?Abbildung (Abb.1) beigefügten Originalurkunde wiedergegeben (1). Die Einfügungen in [...] dienen der Erläuterung. Sie sind nicht in der Urkunde enthalten.
Die Urkunde vom 8. Juni 997
"Im Namen der heiligen, unteilbaren Dreieinigkeit. Otto, durch göttliche Gnade erhabener Kaiser der Römer. Allen unseren gegenwärtigen und zukünftigen Getreuen wollen wir verkünden, dass wir aufgrund des Ersuchens und der Bitte von Giseler, Erzbischof der Heiligen Magdeburger Kirche, dieser ein Burgwardium, das in der Provinz Bloni liegt, im Austausch gegen den Zehnten aus diesem Gebiet, den wir vormals dem Heiligen Mauritius [Moritzkloster in Magdeburg, gegründet 937] zugestanden haben, übergeben. Das Burgwardium, in der Grafschaft des Grafen Teti gelegen, heißt jedoch gemeinhin Bellcsi [auch als "Belizi" gelesen ? vgl. unten und Abb. 1a ]; und dieses Burgwardium mit allem Zubehör, als da sind Gebäude, kultiviertes und nicht kultiviertes Land, Leibeigene beiderlei Geschlechts, Äcker, Wiesen, Felder, Hofstellen, Weiden, Wälder, stehende und fließende Gewässer, Fischgründe, Mühlen, Wege und unwegsames Gelände, Ausgaben und Einnahmen, sowie weiteres Zubehör, das sonst noch aufgespürt oder benannt werden kann, übergeben wir der oben genannten Kirche des Heiligen Mauritius im Austausch als Eigentum. Damit möge der Erzbischof über das oben genannte Burgwardium beliebig frei zum Nutzen der Kirche des Heiligen Mauritius walten. Und damit das mit unserer Autorität Verliehene und der Tausch jetzt und fortwirkend bewahrt werde, haben wir dieses Pergament eigenhändig unterzeichnet und bekräftigen es, indem wir befehlen, es mit unserem Siegel zu versehen.
Zeichen des ruhmreichen und erhabenen Kaisers und Herrn Otto. Ich, Hildibald, Bischof und Kanzler bezeuge es in Vertretung des Erzbischofs Willigis. Am 6. Tag vor den Iden des Juni [8. Juni] im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 997; 10. Indikation, 14. Jahr der Königsherrschaft, erstes Jahr der Kaisererhebung von Otto III. Ausgefertigt zu Arneburg. Gottbefohlen. Amen"(2).
Bevor wir auf den Inhalt der Urkunde selbst eingehen, bedarf es einiger Erläuterungen von Formulierungen und Sachfragen.
An vorderer Stelle steht ? da es sich um die Anfänge von Belzig handelt ? die Umschrift des in der Urkunde von 997 enthaltenen Ortsnamens. Die Originalfassung wird in Abb. 1a nach dem Faksimile wiedergegeben. In jedem Fall ist die Schreibweise des Ortsnamens während der Abfassung der Urkunde, wahrscheinlich als die vom Notar niedergeschriebene Fassung vor Zeugen verlesen wurde, verändert oder korrigiert worden (vgl. dazu unten). Der in der Abbildung wiedergegebene und markierte Text lautet in Umschrift: burgwardium in pr[o]vincia bloni...In commitatu Teti comitis situ. nom[en] vero burguuardii vulgo Bellc/si (in der korrigierten Form). Ursprünglich war der Ortsname anders geschrieben. Diese Schreibweise ist nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren. Um der Mehrdeutigkeit der Schreibweise gerecht zu werden, wird neben der vom Editor gegebenen Umschrift "Belizi" die der Schreibweise in der Urkunde näherkommende, freilich schwerer lesbare Umschrift "Bellcsi" hinzugefügt (3).
Als Anmerkung 3 setzen (als Anm.3 bereits aufgenommen): Es könnten Namensformen wie belit, belitus, belicus, beltius, beltcs oder auch belics gewesen sein. Auffallend ist, dass das nach der Korrektur hinzugefügte i am Ende des Namens deutlich durch einen darübergesetzten Punkt dpgekennzeichnet ist, während der Laut hinter dem l der ersten Silbe "bel" einen solchen Punkt nicht hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es sich bei diesem um die nicht ganz korrekte Wiedergabe eines t handelt. Dann wäre die korrigierte Form als "Beltcsi" zu lesen. Andererseits enthalten Worte der Urkunde mehrfach die Lautfolge ?li in ähnlicher Schreibweise wie in Bellcsi Da dieses i im Unterschied zum I am Ende des Ortsnamens auch bei der Korrektur nicht durch Punktsetzung heveorgehoben wurde, war es wahrscheinlich unbetont und diente der Wiedergabe eine weichen "l" am Ende der ersten Silbe "Bel". Um diese Problematik zu berücksichtigen, wird neben der vom Editor eingeführten Umschrift "Belizi" die Form "Bellcsi" wiedergegeben.
Bevor nicht mit modernen Methoden eine gründliche Analyse der fraglichen Korrekturstelle in der Originalurkunde erfolgt ist, kann keine wirklich eindeutige Aussage getroffen werden. Die Schreibweise "belizi" findet sich mit Sicherheit nicht in der Urkunde, da es den Buchstaben "z" im 10. Jahrhundert nicht gab. Da "Belizi" durch den Editor jedoch eingeführt und von der Namensforschung als Grundlage der Interpretation benutzt wurde, wird neben meiner ebenfalls nicht völlig gesicherten Lesart jeweils die Namensform "Belizi" angeführt.
In der Urkunde, die vor fast 1000 Jahren in Arneburg an der Elbe (Abb.2) ausgestellt wurde, wird ein Rechtsakt festgehalten. Inhalt, Form und Formulierung der Urkunde sind durch die damaligen Gepflogenheiten der Herrschaft von König, Adel und hohen kirchlichen Würdenträgern geprägt. Deren Rechtsverständnis ging vom Allodialeigentum aus, d.h. vom frei verfügbaren Eigentum, egal wie dieses zustandegekommen war, ob durch Vererbung, Schenkung oder Kauf. Östlich der Elbe war es seit 929 durch kriegerische Eroberung und der damit verbundenen Aneignung von Grund und Boden, Häusern und Höfen und den "dazugehörigen" Menschen entstanden. Die oben genannten Herren verliehen sich dieses Eigentum danach wechselseitig gegen entsprechende Leistungen, auf Zeit oder erblich. Das Allod wurde zum "Feudum" oder Lehen, wie es seit dem 9. Jahrhundert hieß, und die daraus sich ergebende komplizierte Struktur wechselseitiger Verpflichtungen wird seit Jahrhunderten als Feudalordnung oder Feudalgesellschaft bezeichnet. Als 997 die Urkunde in Arneburg ausgestellt wurde, gab es kein Bürgertum, keine Städte, die Bauern lebten rechtlos als Leibeigene, Knechte und Hörige. Sie wurden, wie aus der Urkunde von 997 und aus vielen anderen Urkunden dieser Zeit hervorgeht, mit Grund und Boden vertauscht, verschenkt, als "Feudum" oder Lehen von König, Fürsten und geistlichen Würdenträgern an andere ihres Standes vergeben. Im Falle von Bellcsi/Belizi wurden die Zehntabgaben, die Abgabe wenigstens von 10 % von allem Erwerb durch jeden "Herd", d.h. durch jede Familie, gegen das Burgwardium Bellcsi/Belizi mit allem Zubehör ausgetauscht. Die Zehntabgaben waren dem Moritzkloster als Grundlage des Erzstiftes Magdeburg in den Jahrzehnten zuvor vom deutschen König und Kaiser zugestanden worden. Das Burgwardium sollte nun an das Erzstift Magdeburg fallen. Der König wollte hingegen nunmehr wieder über den Zehnt in Bloni verfügen können. Wie es sich mit diesem Tausch und den Motiven dafür verhielt, bleibt noch zu erörtern. Zunächst sei auf den Inhalt der eingangs abgedruckten Urkunde verwiesen. Deren Inhalt und der Sachverhalt sind auch demjenigen erlesbar, der sich in der sich in der mittellateinischen Urkundensprache (bzw. der hier gegebenen Übersetzung) und deren Floskeln weniger genau auskennt.
Rechtsakte, vergleichbar dem von 997, fielen in der königlichen Kanzlei häufig an, so dass sich Standardformulierungen oder sogar Standard?Blankos herstellen ließen, in die bei Bedarf lediglich die Namen von Orten, Personen und das Datum eingesetzt werden mussten. Auch die Urkunde vom 8. Juni 997 entspricht diesem "Standard". Wie sich aus dem Original ergibt, scheinen "die Worte Bloni, Teti, Belizi /corr.aus Belici/ und mancipiis ? villis" später eingesetzt worden zu sein. Der Herausgeber der Urkunde war im Jahre 1893, nachdem er diese gründlich gesichtet hatte, davon überzeugt. In der Tat gibt es Urkunden gleicher Form und gleichen Wortlauts, wie z.B. die wenige Tage später, am 13. Juni ebenfalls von Kaiser Otto in Arneburg ausgestellte Urkunde zugunsten des Magdeburger Moritzklosters. Anstelle von "burgwardium Bellcsi/Belizi" steht dort jedoch "burgwardium Nirechouua" (Nerchau), statt "bloni" steht "Chutizi", statt "in comitatu Teti" lag Chutizi "in comitatu Eggihardi" usw.
Der Notar, der diese und mehr als 20 andere Urkunden ausfertigte, war Italiener. Otto III. hatte ihn während seines Italienzuges 996 in seine Kanzlei aufgenomen. (Kaiserurkunden, 1880, S. 293). Es ist nicht anzunehmen, dass dieser Notar jemals zuvor slawische Namen und Lautungen niedergeschrieben hatte. Er schrieb also nach dem Gehör und mit Buchstaben, die ihm die gesprochenen Namen am besten wiederzugeben schienen. Daraus erklärt sich z.B. die Korrektur des Ortsnamens (oben Abb. 1a).
Eine Urkunde ist keine Chronik über geschichtliche Ereignisse und deren Akteure. Eine Urkunde benennt einen momentanen Vorgang und setzt für die Zukunft die zur Zeit ihrer Ausfertigung geltenden Rechtspositionen für einen bestimmten Sachverhalt. Die Formelhaftigkeit des Wortlauts einer Urkunde führt dazu, dass der Inhalt oder die Tragweite des Inhalts, die Voraussetzungen für deren Entstehung und deren Auswirkungen in der Regel nur im Zusammenhang mit einer Vielzahl von anderen Nachrichten verstehbar werden.
Die geschichtliche Überlieferung ist jedoch für das Gebiet, auf das sich die Urkunde bezieht, und für das Jahrzehnt, in dem sie ausgeführt wurde, sehr lückenhaft. Es sind vor allem folgende Fragen, die mit dieser Urkunde im Hinblick auf die erste Erwähnung von Belzig verbunden sind.
1. Wo lag die "provincia bloni". Welche Ausdehnung und welche Geschichte hatte bloni. 2. Wo lag die Grafschaft des Grafen Teti. Welchen Teil der provincia Bloni umfasste sie. 3. Auf welcher Grundlage beruhte überhaupt ein Burgwardium. Welche Rolle spielte es für Landesgliederung und Herrschaftsausübung.
4. Warum bat Erzbischof Giseler, wie es in der Urkunde von 8. Juni 997 heißt, den deutschen König und gerade gekrönten Römisch?Deutschen Kaiser Otto III., ihm das "burgwardium Bellcsi" im Tausch gegen die Zehnteinnahmen aus dem ganzen Land Bloni zu überlassen.
5. Lässt sich "Bellcsi/Belizi" überhaupt mit "Belzig" identifizieren? Bezieht sich die Erwähnung von Bellcsi/Belizi im Jahre 997 auf Belzig oder ? wie manche Mediävisten annahmen ? auf Beelitz.